Mecklenburg-VorpommernRaketen

Raketen & Ruinen: Peenemünde und seine Technikgeschichte

Ein persönlicher Erfahrungsbericht über das Museum Peenemünde und eine geführte Bustour zu den Überresten der Heeresversuchsanstalt und der V2-Abschussplätze

Anreise: Ein Ort mit Geschichte und Weitblick

Peenemünde liegt ganz im Norden der Insel Usedom – fast schon an der Spitze, wo die Ostsee auf den Peenestrom trifft. Als ich mich mit dem Auto dem Ort nähere, ist die Landschaft weit und ruhig, der Himmel offen. Zwischen Kiefernwäldern und alten Gleisanlagen erhebt sich plötzlich das riesige Backsteingebäude des alten Kraftwerks – heute das Herzstück des Historisch-Technischen Museums.

   

Ich wusste natürlich, was hier einst geschah: In Peenemünde wurde in den 1930er- und 40er-Jahren Raketentechnik entwickelt, die ihrer Zeit weit voraus war. Doch es ist noch einmal etwas ganz anderes, selbst vor diesen Anlagen zu stehen.

Das Peenemünde Museum: Technikgeschichte zum Anfassen

Das Historisch-Technische Museum Peenemünde ist keine klassische Ausstellung, sondern eher ein Erlebnisraum. Das ehemalige Kraftwerk der Heeresversuchsanstalt ist heute modern erschlossen – mit multimedialen Stationen, Großexponaten und beeindruckenden Modellen der legendären V2-Rakete.

Was mich besonders fasziniert: Man bekommt nicht nur einen Überblick über die technischen Entwicklungen, sondern auch Einblicke in das Denken und Arbeiten der damaligen Ingenieure und Forscher. Wie entstand eigentlich eine Rakete? Welche Herausforderungen gab es? Wie funktionierten die Triebwerke, wie wurde gesteuert?

Gleichzeitig geht die Ausstellung behutsam auf die historischen Zusammenhänge ein – etwa auf die Frage, wie technische Innovation in einem politischen System eingebunden war. Es wird nicht beschönigt, aber auch nicht dramatisiert. Die Balance stimmt.

„Man sieht hier nicht nur, was technisch möglich war – sondern auch, was es gekostet hat.“

 

Die Bustour: Entdeckung einer versunkenen Welt

Ein Highlight meines Besuchs war die geführte Bustour über das riesige Gelände der ehemaligen Heeresversuchsanstalt – ein Areal, das sich über viele Quadratkilometer erstreckt. Heute ist das meiste davon überwachsen oder zerstört, doch mit einem erfahrenen Guide wird die Vergangenheit auf eindrucksvolle Weise lebendig.

Wir fahren an den Überresten der Werkshallen vorbei, in denen Teile der V2 gefertigt und montiert wurden. Immer wieder zeigt unser Guide Fotos von damals, die das zeigen, was man heute nur noch erahnen kann: komplexe Gebäude, Prüfstände, technische Anlagen, Startplätze.

Am Prüfstand VII – dem Ort des ersten erfolgreichen Raketenstarts in den Weltraum – steigen wir aus. Hier begann 1942 ein neues Kapitel der Raumfahrtgeschichte. Es ist faszinierend, an einem Ort zu stehen, der gewissermaßen die Wiege der modernen Raketentechnik ist.

Unser Guide erklärt die Funktionsweise des Prüfstands, erzählt Anekdoten über Pannen und Durchbrüche – und plötzlich sieht man all das mit anderen Augen. Die Natur hat sich zwar vieles zurückgeholt, doch mit etwas Vorstellungskraft entsteht ein lebendiges Bild.

Modell Prüfstand 7
Modell Prüfstand 7

Warum wurde Peenemünde als Standort gewählt?

Peenemünde wurde als Standort für die Heeresversuchsanstalt (HVA) vor allem wegen seiner abgeschiedenen Lage auf der Insel Usedom gewählt. Die geografische Isolation bot ideale Voraussetzungen für Geheimhaltung, was für die militärische Raketenforschung des NS-Regimes von zentraler Bedeutung war. Gleichzeitig verfügte der Ort über eine gute logistische Anbindung: Durch die Nähe zur Ostsee konnten Raketentests über Wasser durchgeführt werden, was das Risiko für die Bevölkerung minimierte und die Flugbahnen besser beobachtbar machte. Auch das bestehende Eisenbahnnetz erleichterte den Transport von Material und Personal.

Beobachtung der Flugbahn von der Küste aus
Beobachtung der Flugbahn von der Küste aus

Ein weiterer Vorteil war die Größe des verfügbaren Geländes. In Peenemünde ließ sich eine weitläufige, in sich geschlossene Anlage errichten, die Labore, Werkstätten, Prüfstände, Wohngebäude und eine eigene Energieversorgung umfasste. Die politische Rückendeckung für das Raketenprogramm – insbesondere durch das Interesse führender NS-Funktionäre – trug zusätzlich dazu bei, dass der Standort trotz hoher Kosten und baulicher Herausforderungen ausgebaut wurde. Peenemünde wurde so zum Zentrum der deutschen Raketenentwicklung – ein Ort des technologischen Fortschritts, aber auch ein Schauplatz von Zwangsarbeit und Menschenverachtung.

V1 – Vergeltungswaffe 1

Die V1, auch bekannt als „Vergeltungswaffe 1“ oder „Flugbombe Fieseler Fi 103“, ließ man in Peenemünde entwickeln und testen. In der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Insel Usedom entstand ab 1939 unter der Leitung des Heereswaffenamts in Zusammenarbeit mit der Firma Fieseler und der Argus Motoren GmbH das erste serienmäßig eingesetzte Marschflugkörper-System der Geschichte. Peenemünde war zu dieser Zeit eines der modernsten Waffentestzentren Europas und spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung sowohl der V1 als auch der späteren V2-Rakete. Während die frühen Prototypen und Versuchsreihen in Peenemünde stattfanden, verlegte man die Serienproduktion der V1 später aus Sicherheitsgründen an andere Orte. So unter anderem in das Mittelwerk bei Nordhausen sowie in unterirdische Produktionsstätten, um sie vor alliierten Bombenangriffen zu schützen. Peenemünde bleibt jedoch untrennbar mit der technischen Entwicklung und den ersten erfolgreichen Tests dieser Waffe verbunden.

V1
V1

V2 – Vergeltungswaffe 2

V2
V2

Die V2, offiziell als „Aggregat 4“ (A4) bezeichnet und später als „Vergeltungswaffe 2“ bekannt, ließ man ebenfalls in Peenemünde entwickeln. Sie gilt als die erste funktionsfähige Großrakete der Welt. Die Arbeiten an der Rakete begannen Anfang der 1930er-Jahre unter der Leitung von Wernher von Braun, zunächst in kleinerem Maßstab, später im großen Stil in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Dieses geheime Testgelände auf der Insel Usedom baute man ab 1937 systematisch aus und diente als Zentrum der deutschen Raketenforschung. In Peenemünde erfolgten sowohl die theoretische Entwicklung als auch umfangreiche praktische Versuchsreihen, darunter die ersten erfolgreichen Starts der V2, die Höhen von über 80 Kilometern erreichte und Überschallgeschwindigkeit erzielte – eine bis dahin unerreichte technische Leistung.

„Der Prüfstand VII ist der Vorläufer und Prototyp späterer Raketenabschuss-Einrichtungen wie in Baikonur und Cape Canaveral.“

 

Luftangriffe beenden die Produktion in Peenemünde

Nach einem alliierten Luftangriff auf Peenemünde im August 1943 (Operation Hydra) wurde die Serienfertigung der V2 aus Sicherheitsgründen in unterirdische Anlagen wie das Mittelwerk bei Nordhausen verlegt, wo unter Einsatz von Zwangsarbeitern unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert wurde. Trotz dieser Verlagerung blieb Peenemünde das geistige und technische Zentrum der V2-Entwicklung und markiert einen entscheidenden Meilenstein in der Geschichte der Raketentechnik. Die dort gesammelten Erkenntnisse bildeten später die Grundlage für die Raumfahrtprogramme sowohl der USA als auch der Sowjetunion.

Konzentrationslager Karlshagen

Unweit der Heeresversuchsanstalt Peenemünde befand sich das KZ-Außenlager Karlshagen, ein Nebenlager des Konzentrationslagers Ravensbrück. Hier wurden ab 1943 hunderte Zwangsarbeiter – überwiegend aus Polen, der Sowjetunion und anderen besetzten Ländern – unter extremen Bedingungen zur Arbeit in der Rüstungsproduktion gezwungen. Die Lebensbedingungen im Lager waren hart: unzureichende Ernährung, mangelhafte medizinische Versorgung und schwere körperliche Arbeit bestimmten den Alltag. Viele Häftlinge starben an Erschöpfung, Krankheit oder Misshandlungen. Genaue Opferzahlen sind schwer festzustellen, aber Schätzungen gehen von mehreren hundert Toten allein in diesem Lager aus. Das KZ Karlshagen steht heute als Mahnmal für das Leid, das mit dem technischen Fortschritt an diesem Ort untrennbar verbunden ist.

Forscher im Spannungsfeld der Geschichte

Was Peenemünde zu einem besonderen Ort macht, ist der Kontrast: Auf der einen Seite steht der technische Fortschritt, der hier unter enormem Aufwand vorangetrieben wurde – unter anderem durch die Arbeit von Ingenieuren wie Wernher von Braun, die sich ursprünglich für Raumfahrt und wissenschaftliche Ziele interessierten. Auf der anderen Seite nutzte das verbrecherische Regime diese Entwicklungen gezielt für seine eigenen Zwecke. Tausende Zwangsarbeiter verloren dabei unter unmenschlichen ihr Leben. Der spätere Weg mancher Beteiligter in zivile Raumfahrtprojekte wie bei der NASA zeigt zwar, wie die Technik weiterverwendet wurde, ändert aber nichts an den historischen Umständen, unter denen sie entstand. Diese Ambivalenz macht Peenemünde zu einem Ort, an dem man sich mit der Verflechtung von Fortschritt und Verantwortung auseinandersetzen muss.

Ein Ort für kritische Auseinandersetzung

Heute ist Peenemünde ruhig, fast abgelegen – und genau das verstärkt die Wirkung. Wenn du dich für Technikgeschichte interessierst, bekommst du hier viele Einblicke, aber es ist kein Ort, der einfach nur begeistert. Vielmehr regt er zum Nachdenken an: über die Rolle der Wissenschaft im Krieg, über ethische Fragen technischer Entwicklung und über die bleibende Verantwortung von Forschung. Die Mischung aus imposanter Architektur, geschichtlichem Gewicht und der Weite der Landschaft erzeugt eine besondere, ernste Atmosphäre – keine Unterhaltung, sondern Einladung zur kritischen Reflexion.

Praktische Tipps für Besucher:

  • Eintritt & Öffnungszeiten: Das Peenemünde Museum ist ganzjährig geöffnet. Am besten vorher online die Öffnungszeiten checken.
  • Bustour: Die geführten Touren über das Gelände sind sehr empfehlenswert, finden aber nur zu bestimmten Zeiten statt. Am besten vorab reservieren!
  • Dauer: Für Museum und Tour sollte man etwa einen halben bis ganzen Tag einplanen.
  • Ausrüstung: Festes Schuhwerk und wetterfeste Kleidung sind sinnvoll – viele Stationen liegen draußen im Gelände.
  • Mit Kindern: Auch für Jugendliche spannend, insbesondere die Technikmodelle.

V2-Entwicklung in Peenemünde – bis August 1943

  • 1936: Gründung der Heeresversuchsanstalt Peenemünde – Ziel: Raketenentwicklung für das Heer.
  • 1937–1939: Erste Tests mit Raketenprototypen (A3, A5), Aufbau der Testinfrastruktur.
  • 1940–1941: Entwicklung der V2 (A4) schreitet voran – Fokus auf Antrieb, Steuerung, Stabilität.
  • 3. Oktober 1942: Erfolgreicher Start der ersten V2 vom Prüfstand VII – erste Rakete im Weltraum.
  • Ende 1942–Frühjahr 1943: Die Serienproduktion in Peenemünde entsteht; erste Montagehallen entstehen.
  • Frühjahr 1943: Einsatz von Zwangsarbeitern aus dem KZ-Außenlager Karlshagen beginnt.
  • Sommer 1943: Britische Aufklärung erkennt Bedeutung Peenemündes – Vorbereitung des Luftangriffs.
  • 17./18. August 1943: RAF-Bombardement („Operation Hydra“) zerstört Teile der Anlage – Entscheidung zur Verlagerung der Produktion nach Mittelbau-Dora.

Wichtig:

  • Peenemünde blieb weiterhin Test- und Entwicklungsstandort.
  • Dora / Mittelwerk wurde Hauptstandort der Massenproduktion.
  • Zwangsarbeit spielte dabei eine tragende Rolle: Über 20.000 Häftlinge starben durch Hunger, Misshandlungen und katastrophale Arbeitsbedingungen.

Fazit: Peenemünde Museum bleibt im Kopf

Peenemünde war für mich keine typische Sehenswürdigkeit, sondern ein Ort voller Überraschungen. Hier verbinden sich Technik und Geschichte auf eine ganz besondere Weise – sachlich, spannend und mit Respekt vor dem, was war. Die Atmosphäre ist ruhig, der Blick weit – und das, was man mitnimmt, bleibt im Kopf.

Wer sich für die Ursprünge der Raumfahrt interessiert oder einfach Lust auf eine außergewöhnliche Entdeckungstour hat, ist in Peenemünde genau richtig.

Karten

Hier findest du das Museum Peenemünde auf der Karte

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Chris

Hallo ich bin Chris, Hobbyfotograf und Tourismus-Blogger aus dem schönen Hamburg. Ich habe ein Faible für Geschichte, Architektur sowie Naturaufnahmen. Folge mir auf Google Maps oder hier:
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